Die Geschichte der Berstädter Kirche
von Eugen Rieß
Aufgrund von archäologischen Funden weiß man, dass seit der fränkischen Landnahme im 7. Jahrhundert immer Menschen in Berstadt gewohnt haben. Diese legten sich nach 700 einen oder mehrere Friedhöfe in der heutigen Flur Heiligenstock an. Auch die vorchristlichen fränkischen Grabfunde, die Pfr. Kullmann 1934 bei seinen Grabungen im Chor der Kirche machte, belegen den Ursprung Berstadts in der Zeit der fränkischen Merowingerkönige.
Zur Zeit der Karolinger um 800 können wir von einem Fronhofverband sprechen. Ein großer Fronhof, der heute noch bestehende Mainzer Hof, Oberpforte 3, neben der Kirche, war Kern des entstehenden Ortes
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und das Zentrum mehrerer Höfe, die hier ihre Abgaben an das Kloster Fulda leisten mussten.
Um diesen Kern um Mainzer Hof, Kirche und Tanzhof entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte nun der Ort Berstadt. Dieser Kern hat seine Struktur in einer bemerkenswerten Weise bewahrt.
In der Zeit des Hochmittelalters etwa das Jahr 1.000 besitzt der Ort eine Kirche, die neben dem zentralen Fronhof entstand, was den engen Zusammenhang zwischen Kirche und späterem Mainzer Hof verdeutlicht. Im Westen bildete seit dem Spätmittelalter (nach 1300) eine Mauer den Abschluss dieses Bereiches. Die angrenzende Oberpforte und das tiefer gelegene Zingeldorf waren hierdurch abgrenzt. Diese halbkreisförmige Struktur ist heute noch zu erkennen. Erst mit der Aufgabe des Friedhofes um die Kirche am Anfang des 19. Jahrhunderts bzw. der Abgliederung der Schulfläche in mehreren Phasen seit 1600 wurde durch veränderte Wegeführung zur Kirche und neue Parzellengliederung der kreisrunde Charakter der Fläche zerstört.
Pfr. Reiber erwähnt in der Kirchenchronik (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) eine heute unbekannte Quelle des 12. Jahrhunderts, nach der 31 Familien hier in Berstadt lebten.
Im 13. Jahrhundert finden sich in Berstadt neben einer bäuerlichen Bevölkerung von etwa 250 Personen auch ca. 10 ortsansässige Ministerialenfamilien, so dass von einem größeren Friedhof an der Kirche auszugehen ist.
Diese Kirche stand oberhalb des Dorfes und war befestigt, hatte also den Charakter einer Wehrkirche. Reste der mittelalterlichen Ummauerung des Kirchhofes sind noch heute in westlicher und südlicher Richtung zum niedriger gelegenen „Zingeldorf“ erhalten.
Seit dem 17. Jahrhundert wird deutlich zwischen Pfarrhof, Pfarrgarten und Kirchhof unterschieden, wobei die einzelnen Teilflächen durch Holzplanken abgetrennt wurden.
1710 heißt es: „in diesem Jahr ist die Kirchhofmauer und das Pflaster über dem Kirchhof gemacht worden.“ Gemeint ist die heutige Mauer nordöstlich der Kirche zum Mainzer Hof, Oberpforte 3, hin. Um das Vieh vom Friedhof fernzuhalten, wurde die Mauer im oberen und unteren Eingangsbereich mit zwei Fußgittern versehen. Nach einem Besitzstandsverzeichnis von 1722 unter Pfarrer Stockhausen befinden sich die Schule mit Lehrerwohnung und das Haus des Präzeptors (Kaplans) ebenfalls auf dem Kirchhof, der damals sicher wesentlich größer war.
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1814 wurde der Friedhof um die Kirche aufgegeben und in zwei Gärten umgewandelt.
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Das Verhältnis von Pfarrer Scherer zu seiner Gemeinde war am Ende seiner Dienstzeit nicht das Beste. So hießt es im Kirchbuch: „Am 9ten Juni 1814 hatte die hiesige Gemeinde, wegen Verlegung des Todtenackers, ausserhalb des Orts, den Pfarrhausgarten, tumultarisch zerstört und mir viele schmerzliche Verdriesslichkeiten verursacht. Ich habe der Gemeinde von Herzen verziehen und wünsche meinem Nachfolger allen Segen des Himmels.“ Man hatte bei der Verlegung des Friedhofes den südlichen Kirchhof mit einer Hecke umzäunt und den beiden Lehrer zugeschlagen und den nördlichen mit dem Spalierobst dem Pfarrer. Die Verzeihung der Sünden erfolgte allerdings erst, als jeder, der an dem Tumult beteiligt gewesen war, 5 Gulden Strafe bezahlt hatte.
Die Friedhofsverlegung war dringend erforderlich geworden, da die Cholera Ende 1813 bis Januar 1814 60 Opfer unter der einheimischen Bevölkerung gefordert hatte.
Schließlich wurde auch der Pfarrgarten zur Oberpforte hin von einer Mauer umgeben und die Kirche bildete jetzt das eine Ende des Kirchhofes. Um die Kirche wurde ein 2 Fuß tiefer Graben gezogen, damit man die Feuchtigkeit in der Kirche abziehen konnte.
Für Pfr. Carl Ludwig Handel bestand die erste Aufgabe darin, wieder in ein geordnetes Verhältnis zur Gemeinde wegen des Pfarrgartenstreites zu treten. Die Pfarrei trat einen Garten zur Vergrößerung des neuen Kirchhofes ab, und die Gemeinde gab den alten Kirchhof der Pfarrei als Garten und zäunte ihn ein. Vom westlichen Zingeldorf wurde nach 1815 eine Treppe durch die Kirchhofmauer geführt, die Abgrenzung zum Pfarrhof wird durch eine neue Mauer deutlich, welche die Wegführung zum Hauptportal links begrenzt, aber nach Lageplänen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht an dem Kirchbau abschloß, sondern auch den Weg zum Nordportal frei hielt. Vor 1911 wurde dann auch das letzte offene Stück geschlossen.
1973 wurden der alte Kirchhof und Pfarrgarten neu gestaltet. Die Wegführung und die Bepflanzung wurden grundlegend geändert.
Die Kirche besitzt einen Langbau [lichte Maße: 21,4 m * 9,35 m] mit waagrechter Decke, die heute in die Spitze des Chores stößt, also ursprünglich höher oder anders ausgebildet war; dagegen hat der Chor einen quadratischen Grundriß von 7,17 m im Geviert und ist gewölbt. Die schlanken, hohen Spitzbogenfenstern des Chores dominieren. Die oberen schmalen Schlitzfenster lassen nur wenig Licht in den darüber liegenden Turm.
Die spitzbogige Choröffnung ist 5,77 m breit. Die Pfeiler sind durch 3/4 Säulen verstärkt, verbinden gleichsam Chor und Langhaus. In den 4 Ecken des Chores stehen Dienste mit Blätterkapitellen, aus denen die Rippen des raumüberspannenden Kreuzgewölbes entstammen. Das Profil und der Aufstand dieser Kreuzrippen, sowie Kämpfer und Sockelgliederung finden sich im nahen Kloster Arnsburg wieder, ein Einfluß dieser Bauhütte auf Berstadt liegt nahe. Nach Angaben Reibers
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soll sich an der Seite zum Pfarrhaus hin ein Sakristeihäuschen befunden haben, dessen Dach bis zum zweiten Turmstockwerk reichte. Zur Zeit Reibers muß dieser Ansatz noch deutlich zu sehen gewesen sein. Auch ein großer und ein kleiner Eingang in den Turm seien noch erkennbar gewesen, wenngleich auch zugemauert.
Im Inneren einer kleinen Nische der Nordseite befindet sich ein Steinmetzzeichen.
Der Chor ist mit einem Turm übermauert, der den o.a. Wehrcharakter erst verleiht. Dagegen ist der achteckige Turmhelm gezimmert. Der Verfasser des Kunstdenkmalführers des Altkreis Büdingen mutmaßt aufgrund der Turmform, dass es sich hier um einen Bau des 17. Jahrhunderts handelt, was auch die Kirchenbücher beweisen:
Die Kirchenvisitation von 1628 hatte die Baufälligkeit der Kirche beklagt und eine Renovierung des Kirchenschiffs gefordert. Statt dessen aber ging man an eine Erneuerung des Kirchturms. Es wurde „mit Steinen ein etwas hoher uffgemauert und nachgehend eine Spannische Hauben darauf gesetzt.“
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Der große Ärger über diese Eigenmächtigkeiten spiegelt sich noch im Schreiben des Gießener Superintendenten Gelser wider: „Es haben die Bauern dieses Orts einen großen, hochkostbaren, unnötigen und vieledleligen Thurn aus Hoffahrt gebauet und das arme Kirchlein darben ungebauwet stehen lassen. Hette man die Kirch gebauwet damals und das hoffertige Thurnbauwen unterwegen gelassen, hette man das Klagen anniso nicht von Nothen.“ Walbe bezeichnet ihn, den Turmhelm, im Jahresbericht der Denkmalpflege 1913 – 1928 als „prächtigsten aller oberhessischen Helme. Ein achtseitiger übereck gestellter breitgeschopfter Mittelhelm steht inmitten von vier kleinen achtseitigen Ecktürmen. Alle fünf sind mit der gleichen geschwungenen Haube gekrönt.“
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Nachdem man das Kircheninnere nach dem 30jährigen Krieg wieder hergestellt hatte, ging man auch daran, 1659 den Turm nach dem Ideal des Barocks zu verzieren: „ ... sind 4 Knöpf auf die 4 kleine Kirchthürme gesetzt worden."
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Die vier „welschen“ Ecktürmchen des wuchtigen Kirchturmes hatten die Berstädter mitten in den schlimmsten Zeiten des 30jährigen Krieges, 1634, aufsetzen lassen. Nach den Kirchenrechnungen des Jahres 1670 befand sich an der Kirche eine Sonnenuhr, die in diesem Jahr einen neuen Anstrich erhält.
In der Kugel der Kirchturmspitze wurden immer wieder Dokumente eingelegt:
„Berstadt den 1. November 1752: Wurde dieser Kirchthurm gäntzlich renoviret auch Hahn und Knopf mit gutem Goldt verguldet. Ihre Hochfürstliche Durchlaucht Ludowicus VIII sind noch bey Leben und bey allem erwünschten Wohlseyn. Gott gebe daß alle regierenden Fürsten von Hessen sich so als dieser gegen seine Untherthanen bezeiget, ebenfalls beweisen mögen.
Das Hochfürstl. Oberambt wird ebenfalls noch von dem fürstl- Oberambtsverweßer ST Herrn Lt (Licentiat) Ludwig Jakob Meyer verwaltet. An Kirch und Schul stehen die in vorigem bereits gemeldte Herrn Geistliche Bey Gericht stehet in vorigem gedachte Fürstl. Gericht Schultheiß Hr. J. T. Lauckhardt und Johannes Rau sen., als Gerichtsschöffen Joh.
Adam Dieffenbach sen., Clos Suppes, Joh.
Conrad Schmitt, Joh. Clos Lotz, Johann Dieffenbach, Joh. Jost Raw, als Bürgermeister Joh. Henrich Dieffenbach und Joh. Peter Rau, als Vorsteher Peter Völbel, Henrich Rau, Jost Storck.“
Zu dem fanden sich 3 handcolorierte Tafeln des 19. Jahrhunderts mit Uniformen des 30jährigen Krieges. Einen besonderen Anziehungspunkt für Blitze bot wohl der Kirchturm. 1892 und 1902 wird jedesmal der Kirchturm von einem Blitz getroffen. 1892 hatte sich das Kreuz zur Seite geneigt, so daß man im Herbst Kreuz und Hahn abnehmen mußte.
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1902 war am 04.06. nach einigen heißen Tagen abends ein schweres Gewitter aufgezogen, Gegen 19.45 schlug der Blitz in den Kirchturm ein. Der Hahn wurde dabei beschädigt und das Kreuz verbogen. Der Blitz verlief in der östlichen Hälfte des Turmhelmes zerstörte mehrere Balken und das östliche Ziffernblatt. Schäden am Schlagwerk, ein völlig zerstörter Uhrenkasten, 2 Pfeifen und 2 Tasten der Orgel und das obere Manual waren unbrauchbar und in der südöstlichen Ecke war der Verputz abgefallen. 1907 erleidet der Kirchturm erheblichen Schaden durch einen Blitzschlag.
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1950 sind Reparaturarbeiten am Kirchturm in Höhe von 20.000,00 DM beendet, begonnen hatten die Arbeiten im August 1949. Im Wirtshaus Koch hatte vorher eine Gemeindeversammlung stattgefunden, die stark besucht war, weil das Staatsbauamt die Kosten der Maßnahmen auf 11.600 DM veranschlagt hatte.
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Am Ende des Jahres war die Bedachung bis zum 3. Helm repariert.
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1978 schlägt Mitte Juli erneut der Blitz in den Kirchturm. Im Dezember 1982 wird durch die Fa. Schröder aus Ockstadt am Kirchturm und Kirchenschiff ein Blitzschutz angebracht. Die Kosten betragen 8.600,00 DM. An Sylvester nimmt ein Trunkenbold Schießübungen an der Kirchturmuhr vor und trifft. Eine besondere Reparatur findet im Juli 1984 statt. Durch einen Herrn Röder aus Ebingen/Württemberg werden die Ecktürme am Kirchendach repariert. Weil ein Gerüst zu teuer ist, arbeitet er im frei hängenden Korb. Die Kosten für eine Woche Arbeit betragen 8.500,00 DM. Es wird aber auch festgestellt, dass in Zukunft größere Reparaturen dringend notwendig sind. Diese finden 1992 ihren Abschluss, nachdem mehr als 400.000 DM verbaut wurden.
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Dabei wurden auch alte Dokumente aus einem Holzkästchen entnommen, die tw. aus dem 17. Jahrhundert stammen. Bei dieser Gelegenheit fand man auch den Durchschuss einer Kugel durch die Turmkugel und eine Wand des Holzkästchens, die ein französischer Soldat 1813 abgefeuert hatte.
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Der eigentliche Kirchenbau ist der Frühgotik zuzuordnen.
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In die Zeit der Ersterwähnung des heutigen Kirchbaues fallen sicher die Bauzeit des Turmes und die Nordwand (Seite zum Pfarrhaus), wobei zu berücksichtigen ist, daß, wie später ausgeführt wird, durch den Einbau der Männerbühne erhebliche bauliche Veränderungen vorgenommen wurden. Die übrigen Bauteile stammen wesentlich aus der Zeit um 1300, was sich auch neuerdings durch dendrochronologische Untersuchungen bestätigte.
Schauen wir uns die Nordseite genauer an, so entdecken wir dort eine Rundbogentür, ein kleines Kleeblattfenster und frühgotische Spitzbogenfenster. Wie auch die Tür an der Südseite besitzen beide Spitzbogennischen, die sicherlich zur Aufnahme von Heiligenfiguren bestimmt waren, worauf die an den Sohlbänken angebrachten Kragknöpfe hinweisen. Im Gegensatz dazu ist die westliche Tür größer und reicher gegliedert. Heute nicht mehr auffindbar ist jene Grabplatte, von der noch Pfr. Kullmann 1934 berichtet: „Endlich ist noch hinzuweisen auf die Steinplatte direkt unter der westlichen Eingangstür, eine Platte, über welche die Kirchgänger hinwegschreiten. Auf dieser Steinplatte ist ein Kreuz angebracht, das in vier Feldern je einen auffallenden Punkt hat."
Der Bereich der Berstädter Kirche war wie der gesamte Ort im Dreißigjährigen Krieg erheblich zerstört worden: „1640 und folgende Jahre sind die Pfarrgebäude und Kirche, durch das damalige Kriegswesen ruiniert, wieder repariert worden.
1649 - 1650 ist in der Kirch das grosse unterste Fenster nach der Männerbühne zu auf der Seite des Kirchhofs von neuem gesetzt und darum in die Mauer gebrochen worden, weil vorher die Cantzel an diesem Ort, jetzo das Fenster stehet, gestandet, gesetzt worden. Auch ist die Kirch inwendig mit Thiele gedeckt worden und hat ein weißbinder von Grünberg die Kirch inwendig und die Stühl mit Farben ausgestrichen. 1649 - 1650 dass Glässners, Mäurers, Schreiners, Weissbinder Arbeit und Lohn und Farben und Nägerle specificiert worden.
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Die Handwerker stammen aus der näheren und weiteren Umgebung: Ein Maurer aus Bellersheim bricht das Fenster in die Wand, der Glaser kommt aus Rodheim, der Weißbinder aus Kronberg, für den Kalkkauf werden 5 fl ausgegeben.
An der Cantzel unten stehet die Jahreszahl 1650 oben am Deckel: Höre gern Gottes Wort. (Sirach) - Inwendig Curate coelestia." Da zu allem Überfluss auch die mechanische Uhr 1650 zerspringt, wird hierfür ein Schlosser aus Hungen bemüht.
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Bereits 1684/85 finden erneut Renovierungsarbeiten statt: „ ... eine neue Männerbühne gemacht worden, die Kirche wurde aussen geweist."
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Ursprünglich stammt sie wohl aus dem Jahre 1545, wie eine Jahreszahl in der Männerbühne belegte. Aus dieser Zeit können auch die sie stützenden Pfosten und Büge stammen. Für die Männerbühne werden bereits 1680 Dielen aus Frankfurt geholt.
Der zum Katholizismus neigende Pfarrer Soldan läßt 1691 vier Engel für den Altar anfertigen.
Am 22.12.1718 „morgens nach 4 Uhr hat sich ein grausamer Sturm Wind erhoben, welcher ein Stück vom Kirchen Schieferdach gegen darzu Pfarrhauß Ziegel herunter gerissen.“ Der Pfarrer schließt mit der Bemerkung: „Gott bewahre uns vor Schaden und gebe, daß es nichts böses vorbedeute.“ In der Anmerkung heißt es dann: „Ist Ao. 1719 im Febr. u. Mart. [März] reparirt worden.“
Die Kirche wird 1785 für über 1.000 Gulden repariert. Als Handwerker wirken u.a. an der Renovierung mit: der Maurermeister Johann Georg Herkommer von Berstadt, schließlich noch der ortsansässige Schreinermeister Johannes Müller und der ebenfalls in Berstadt wohnende Zimmermeister Adam Hofmann.
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In der Kirche wurden in Frakturschrift verschiedene Sinnsprüche an den Wänden angebracht.
Als man 1858 daran ging, diese zu übertünchen, wurden sie vom damaligen Pfarrer aufgezeichnet. Über dem Stuhl des Pfarrers stand: „Gottes Wort und Luthers Lehr vergehen nun und nimmermehr." Derselbe Spruch wurde danach auf einer Holztafel angebracht und über dem Sitz des Pfarrers aufgehängt. Über der Kanzel stand der Spruch: „Wende dich aber Herr mein Gott zu dem Gebet deines Knechtes und seinem Flehen, dass du erhörest das Bitten und Beten, das dein Knecht vor dir tut. - 2. Chron. 6, 19." An den mittleren Pfeilern stand: „Eins bitt ich vom Herrn, das hätte ich gerne, dass ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienst des Herrn und seinen Tempel zu besuchen." Schließlich lautete der 4. Spruch über dem Gerichtstuhl: „Sehet zu, was ihr tut, denn ihr haltet das gericht nicht den Menschen, sondern dem Herrn, und er ist mit Euch in dem Gericht. Darum lasset die Furcht des Herrn bei Euch sein und hütet Euch und tut es 2. Chr. 19, 6 und 7."
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Die Kanzel wurde, ihrer Ausführung nach zu urteilen, um 1700 verfertigt. Im Brüstungssims der Kanzel steht: Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.
Die bereits erwähnte Renovierung der Kirche von 1858 wurde nach einer Kirchenvisitation der großherzoglichen Superintendantur als notwendig wegen des „trüben Zustandes“ der Kirche erachtet. Die Reparaturarbeiten wurden vom Kreisamt Nidda befohlen, und obwohl die Gemeinde ursprünglich nur die Hälfte der Kosten bezahlen wollte, musste sie schließlich für alle herhalten. Die Arbeiten begannen am 7.6.1858 und dauerten bis zum 19. September. Ihr Umfang sollte sich auf den Innen- und Außenputz, die Fundamentierung der Männerbühne und auf eine Reparatur des Kirchendaches an der Nahtstelle zum Turm erstrecken. Weitere Maßnahmen, welche eine völlige Umgestaltung, aber auch eine gänzliche Zerstörung der historischen Substanz mit sich gebracht hätten, wurden nicht aus Vernunft- sondern nur aus Geldgründen zurückgestellt. Außen bekam die Kirche einen neuen Verputz, innen wurden die Wände mit Leimfarben und die Holzwerke mit Ölfarbe gestrichen.
Während der Arbeiten fand der Gottesdienst im Garten der Witwe von Heinrich Ellersberger II. statt. Pfarrer Kullman führt 1925 gegen den Weißbinder Friedrich Wolf einen Prozeß in mehreren Instanzen, weil er meint, dass der Weißbinder bei Renovierungsarbeiten gegen die Erdfeuchtigkeit einen Zementputz im Außenbereich hätte ansetzen müssen.
In der ersten Zeit seiner Pension geht Pfarrer Kullmann 1934 als Hobbyarchäologe zu Werke. Diese Grabungen finden im Zusammenhang mit dem Einbau einer Heizung statt. Den Chor läßt er bis in eine Tiefe von 2,40 m ausschachten. Dort findet er ein ausgemauertes Grab, dem er eine Urne entnimmt. Daneben und darunter befanden sich mehrere Schädel. Später verweist er darauf, daß es sich um ein vorchristliches fränkisches Grab gehandelt habe und verwehrt sich gegen die Vorwürfe seitens des Denkmalpflegers.: "Auch wurde eine schwere Basaltplatte, auf der sich 2 Wappen befanden, auf Anordnung des Herrn Denkmalpfleger einstweilen in den Pfarrgarten gelegt..."
Eine wesentliche Veränderung des Kircheninneren erfolgte 1955/56. Dabei wurde die Orgel aus dem Chor entfernt. Eine im Chorraum gefundene alte Grabplatte wurde neu aufgerichtet, wobei es sich nur um die bereits von Kullmann ausgegrabene Platte handeln kann, die heute an der nördlichen Außenseite verankert ist. Ebenso kam es zur großen Renovierung 1964. Im Rahmen von Isolierungsmaßnahmen wurde die Kirche in Teilen bis zu einer Tiefe von bis 2 m unterfangen, isoliert und dränagiert und der Eingang zum Heizungskeller gebrochen. Die Kosten betrugen 1966 25.000,00 DM. Im Jahr darauf wird die alte Heizung von 1934 durch eine Ölwarmluftheizung ersetzt, wieder Kosten von 25.000,00 DM. Eine Kirchenrenovierung im Frühjahr 1972 kostete 30.000,00 DM.
Bei umfangreichen Untersuchungen zur ursprünglichen Gestaltung der Kirche 1979 wurden erhebliche Erkenntnisse gewonnen. Demnach war das Kreuzrippengewölbe des Chorraumes in einer Mischbinderfarbe angestrichen; ursprünglich waren Decken- und Wandflächen in Kalkmaltechnik weiß angestrichen, die Kreuzrippen selbst rot.
Die Fenstergewinde im Chor und im Langhaus waren vollrot und mit Quaderungen unterteilt. Die Urfassung der Wand- und Deckenflächen wurde wiederhergestellt, auch die Ausmalung der Fensterleibungen und Quaderungen ungefähr nach Befund neu rekonstruiert. Doch wird von dem Restaurator Erwin Meffert aus Camberg moniert, dass die Fensterfarblichkeit nicht stimmig sei.
Die eigentliche Überraschung aber waren das Aufdecken von Weihezeichen in der Sockelzone des Chores, die aber bei Trockenlegungsarbeiten bis in einer Höhe von 2,30 m zu 60 -70% zerstört wurden.
Auch die Fläche neben der Kanzel war bemalt, allerdings auch hier beim Anbringen derselben stark in Mitleidenschaft gezogen. Über der Kanzel und in der Mitte der Empore fanden sich Reste von Fresken. Besonders der älteste Bauteil, die Nordseite, weist eine Bemalung auf.
An der Mittelsäule konnten 4 Farbfassungen nachgewiesen werden:
- die jetzige in grauer Farbe,
- darunter eine marmorierte,
- eine rotbraun,
- und als älteste eine ornamentale Fassung als Blattwerk mit rötlichem Grund und gelber dunkelgrüner Bemalung.
Das herausragende Baudenkmal der Kirche zu Berstadt aber ist eigentlich klein und unscheinbar, der Rest eines romanischen Taufbeckens: nämlich ein Sockellöwe aus der Stauferzeit.
Text: EugenRieß
Alle Fotos: Willy Roth